40 Jahre älter – Selbstversuch an der Berliner Charité, Universitätsmedizin, Beitrag des ZDF Magazin „sonntags“

Reporterin Nadia Nasser:
Wie empfindet und sieht ein älterer Mensch die Welt? Bei einem Selbstversuch an der Berliner Uniklinik Charité heisst es für mich: Einmal ins hohe Alter und zurück. Jetzt werde ich kurz 40 Jahre älter gemacht. Medizinstudentin Julia macht mit. Die Erfahrung im Altersanzug AgeMan: wichtiger Teil der Ausbildung junger Ärzte.

Dr. med. Rahel Eckardt:
Wir können davon ausgehen, dass irgendwann jeder dritte Mensch in Deutschland über 60 oder 65 Jahre alt sein wird. Das Alter rückt ja immer mehr in den Fokus.

Nadia Nasser:
Dr. Rahel Eckardt erklärt mir Schritt für Schritt, wie man den Altersanzug anlegt. Erst kriege ich Manschetten um die Gelenke, damit ich weniger beweglich bin.

Dr. Rahel Eckardt:
Jetzt bekommen Sie eine schwere Weste umgelegt, muss ich erst mal selber Kraft aufwenden, um sie Ihnen anzulegen.

Nadia Nasser:
Und so fühlt man sich dann?

Dr. Rahel Eckardt:
Ja, das heisst, dass sie weniger Muskelkraft und -masse haben und ihre Kräfte im Alter schwinden.

Nadia Nasser:
Stück für Stück ziehe ich mir die „Jahrzehnte“ an und das entspricht etwa welchem Alter, wie ich mich jetzt fühle?

Dr. Rahel Eckardt:
Na, vielleicht so 75 Jahre dürften Sie jetzt schon alt sein. So und jetzt gehört noch eine Jacke dazu, die auch solche Gewichtsmanschetten enthält.

Nadia Nasser:
Und noch mal kommen gefühlt fünf Jährchen oben drauf. Dazu gibt es Handschuhe, die die Feinmotorik einschränken sollen, Ohrenschützer, mit denen man nur noch schwer hören kann und ein Visier für getrübtes Sehen. Die Wirkung: erschreckend.

Dr. Rahel Eckardt:
Es gibt in vielen Bereichen Aha-Effekte: Bewegung, Treppen steigen, sich bücken, aufstehen oder sich ins Bett setzen fällt einfach schwerer und schon nach wenigen Minuten ist man erschöpft und gerät ins Schwitzen. …

Nadia Nasser:
Gute 12 Kilo schwerer mit steifen Gelenken und eingeschränkten Sinnen, der erste Ausflug als über 80 Jährige.

Wie fühlst du dich beim Laufen Julia?
Wie fühlst du dich beim Laufen? (lauter)

Julia:
Es geht so.

Nadia Nasser:
Alles dauert länger. Kleine Dinge, wie Tabletten sind nur schwer zu greifen und lesen oder Farben erkennen oft unmöglich. Zum Glück gibt es mittlerweile schlaue Hilfsmittel für den Alltag. Trotzdem macht der Blick in die Zukunft nachdenklich.

Julia:
Nee, Angst nicht. Es zeigt nur, dass man noch mehr Sport machen sollte und es noch hinauszögern sollte.

Nadia Nasser:
Jede Stufe schmerzt, jeder Schritt eine Qual.

Ja, auch ich schwöre mir, demnächst mal wieder ins Fitnessstudio zu gehen.
Endlich liegen. [Aber die Verschnaufpause dauert nicht lange.]

Dr. Rahel Eckardt:
Wir kommen heute zur Chefarztvisite

Nadia Nasser:
Und für meine alten Ohren hört sich die so an: [Nur ein Murmeln zu hören]
Ich verstehe nur Bahnhof, eine typische Situation für ältere Patienten. …

Es ist wirklich erstaunlich, weil ich ja wusste, dass es gespielt ist, aber ich fühlte mich sehr übergangen. Das ist kein gutes Gefühl.

Dr. Rahel Eckardt:
Das glaube ich Ihnen.

Nadia Nasser:
Und jetzt fühl’ ich, dass mein Rücken nicht mehr mitmacht. Mit letzter Kraft hole ich mir eine Erfrischung … Ein Cappuccino bitte … Kassiererin: Eins zwanzig, bitte. … und stoße an der Kasse an meine Grenzen. …

Sich einfühlen in die Schwierigkeiten älterer Menschen im Alltag, Sinn der Übung. Ich bin schweißgebadet und alles tut weh. Ich bin völlig fertig. Den Cappuccino hab’ ich mir jetzt echt verdient, wenn ich ran käme.

Als ich endlich wieder jung sein darf, ist mein Verständnis für ältere Menschen sehr gewachsen. Ein paar Stunden im AgeMan würde ich am liebsten jedem verordnen.