Lohnt sich für den Gesundheitssektor eine Beschäftigung mit Konzepten wie „Generation Y“ oder „Generation Z“?

5
(1)

In den Medien haben die sogenannten Generationen X, Y und Z in den letzten Jahren viel Beachtung gefunden. Bei diesen Generationenkonzepten geht es meistens darum, Einstellungen und Verhaltensweisen bestimmter Altersgruppen zu beschreiben oder sogar zu prognostizieren. Dies soll nützlich sein für die Personalpolitik von Unternehmen, für das Marketing vieler Produkte und Dienstleistungen sowie für das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen. In diesem Beitrag geht es darum, welchen Nutzen diese Einteilungen haben und inwieweit es lohnend sein könnte, sich damit zu beschäftigen.

Antwort vorab

Der Nutzen Generationenkonzepten zur Lösung von unternehmerischen Fragestellungen ist aus wissenschaftlich-methodischer Hinsicht begrenzt. Dies gilt deshalb für alle Branchen, auch für den Gesundheitssektor. Für soziologische und historische Fragestellungen kann die rückblickende Einteilung einer Bevölkerung in Generationen eventuell nützlich sein, um Entwicklungen zu verstehen und erklären zu können.

Begründung

1. Die Einteilung von Personen in Generationen ist in der wissenschaftlichen Sozialforschung umstritten. Zum einen geht es darum, dass die angeblichen Unterschiede in Einstellungen und Verhalten der Generationen möglicherweise empirische Artefakte sind, also gar nicht vorhanden sind. Zum anderen geht es um ethische Aspekte einer Kategorisierung von Menschen.

2. Aus dem Blickwinkel von Unternehmen des Gesundheitssektors als Arbeitgeber stellt sich die Frage, welche praktischen Handlungsempfehlungen mögliche Generationenmerkmale erlauben. Beispiel: Einer aktuellen Studie zur Generation Z (13 bis 27jährige) lässt sich entnehmen, dass Mitglieder dieser Generation sich ein hohes Gehalt bei wenig Stress wünschen und eine 4-Tage-Woche für erstrebenswert halten. Über die Schlussfolgerung der Studie kann man unterschiedlicher Meinung sein. Sie lautet: „Unternehmen müssen sich an die Bedürfnisse der Generation Z anpassen, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.“

Nachfolgend eine Darstellung des Generationenkonzepts und eine detaillierte Begründung der obigen Einschätzung.

Welche Generationen stehen im Fokus?

In der aktuellen Diskussion spielen die folgenden sechs Generationen die Hauptrolle:

  1. Kriegsgeneration: ca. 78 – 93 Jahre (Geburtsjahrgänge 1930-1945)
  2. Babyboomer (1946-1964, 59 – 77 Jahre)
  3. Generation X (1965-1979, 44 – 58 Jahre)
  4. Generation Y (1980-1995
    , 28 – 43 Jahre)
  5. Generation Z (1996-2010, 13 – 27 Jahre)
  6. Generation Alpha (2011-2025, 0 – 12 Jahre)

Mitglieder der Kriegsgeneration und Babyboomer bilden heute den grössten Teil der Patienten und Bewohner. MFA und Pflegekräfte gehören weitgehend zu den Generationen X , Y und Z. Die Generation Alpha sind Kinder und Jugendliche, deren Verhalten in einigen Jahren von Bedeutung sein könnte.

Welche Idee steht hinter der Einteilung in Generationen?

Eine Einteilung in Generationen ist nichts Neues. Bereits im frühen 19. Jahrhundert hatten europäische Autoren Ähnlichkeiten zwischen Personen identifiziert, die im selben Zeitraum geboren worden waren. Der deutsche Autor und Historiker Karl Mannheim wird häufig als Urheber des wissenschaftlichen Begriffs der „Generation“ genannt. 1928 erschien sein Aufsatz „Das Problem der Generationen“.

Die Idee der Unterscheidung in Generationen geht davon aus, dass Menschen durch die speziellen Ereignisse der Zeit, in der sie herangewachsen sind, eine gemeinsame Sichtweise auf die Welt, die sozialen Verhältnisse, die Entwicklung der Kultur usw. bekommen und dadurch eine „Generation“ bilden. Solchen Generationen werden bestimmte Werte und Einstellungen zugeschrieben, z.B. pflichtbewusst, technikaffin, hedonistisch, familienorientiert usw. Schon vor mehr als hundert Jahren nutzten philosophische Denker diesen Grundgedanken, um Ideen von historischer Perspektive zu beschreiben. Erst in jüngerer Zeit wurden die Generationen als Informationswerkzeuge angewendet, um Verhaltensmuster und Einstellungen im modernen Marketing und der Gesellschaftspolitik zu verstehen und ökonomisch nutzbar zu machen.

Die historische Entwicklung der Generationenbezeichnungen

Um den Alltagsnutzen der Generationen einschätzen zu können, ist die historische Entwicklung der Namen interessant. Bis in die 1990er Jahre wurden Geburtsjahrgänge rückblickend mit Generationennamen versehen, z.B. Babyboomer, die Generation der geburtenstarken Jahrgänge von 1946 bis ca. 1964. Für die darauf folgende Generation gab es keinen Namen, bis ein 1991 erschienener Roman des Schriftstellers Douglas Campbell Coupland mit dem Titel Generation X die Bezeichnung Generation X populär machte. Ziel war es bis zu diesem Zeitpunkt meistens, Verhaltensweisen von Menschen zusammenfassend beschreiben und verstehen zu können.

1993 wurde zum ersten Mal über eine Generation geschrieben und gesprochen, die erst im Entstehen war, die sogenannte Generation Y (Geburtsjahrgänge 1980-1995). Die ältesten Mitglieder dieser Generation waren damals gerade 13 Jahre alt, die Jüngsten noch gar nicht geboren. Vermutlich war es kein Zufall, dass die Generation Y ihr „Entstehen“ der US-Marketingzeitschift „Advertising Age“ verdankt. Dies war auch der Beginn der heutigen Situation, dass man Menschen, bevor sie überhaupt ein bestimmtes Verhalten zeigen können, nur aufgrund ihres Geburtsjahrgangs bestimmte Einstellungen und Verhaltensweise zuschreibt, um sie für Zwecke des Marketings greifbar zu machen. Nachdem die Generationen X und Y existierten, wurde erwartunggemäß (vermutlich um die Jahrtausendwende, in Google Trends ab 2004 zu sehen), die Generation Z ins Leben gerufen (Geburtsjahrgänge 1996-2010). Da das lateinische Alphabet mit dem Buchstaben Z aufhört, werden die nächsten Generationen mit griechischen Buchstaben bezeichnet. Generation Alpha sind die Geburtsjahrgänge von ca. 2011 bis 2025.

Generationen: Vom wissenschaftlichen Begriff zum Marketinginstrument

Die beschriebene historische Entwicklung legt die Deutung nahe, dass sich das bis zum heutigen Tag in der Soziologie umstrittene Generationenkonzept seit Anfang der 1990er Jahre zu einem Marketinginstrument entwickelt hat, das Werbeagenturen, Marktforschungsinstitute usw. als ertragreiches Geschäftsmodell nutzen. In einer Marketing-Online-Platform kann man z.B. lesen: Kids age fast, they say, and many brands are already wondering how they can alter their marketing and messaging to grow up right alongside the youngest people on the planet.

Deutliche Kritik an dieser Art der Verwendung des Generationenkonzepts übte 2016 Hannes Schrader in der ZEIT. An die Adresse der Jugendlichen gerichtet, schrieb er:

„Jetzt seid ihr dran, euch von anderen sagen zu lassen, wer ihr seid, wie ihr euch zu verhalten habt und wofür ihr alles verantwortlich seid. Aber hört genau zu. Denn was diese Leute über eure Generation denken, bestimmt, wie ihr einkaufen, leben und arbeiten werdet. […] Was Werbefuzzis ihren Kunden über euch erzählen, wird festlegen, wo ihr einkauft, wie und was ihr zum Frühstück esst.“

Der Soziologe Martin Schröder hat 2018 das Generationen-Konzept mit einer statistischen Analyse geprüft. Sein Fazit: „Insgesamt legen die […] Ergebnisse nahe, dass es wenig Sinn macht,
Nachkriegsgenerationen auf der Basis ihrer Einstellungen zu unterscheiden. Die empirischen Daten zeigen durchgehend schwache Effekte, die zumeist in die gegenteilige
Richtung dessen weisen, was die Literatur vermutet. Insofern illustriert das periodische Ausrufen neuer Generationen mit unterschiedlichen Einstellungsmustern
eher die Konstruktion gesellschaftlicher Mythen als tatsächliche Generationenunterschiede.“

Dieses Ergebnis spricht nach Schröder nicht generell gegen die Nutzung des Generationenbegriffs. Beispielsweise sei es denkbar, dass weiter zurückliegende Geburtenkohorten, die ihre Erfahrungen im Ersten oder Zweiten Weltkrieg gemacht haben, tatsächlich so stark davon geprägt wurden, dass man von Generationen sprechen kann. Er bezweifelt aufgrund seiner Analyse jedoch, dass eine Geburtenkohorte zu einer Generation mit lebenslang abgrenzbaren Einstellungsmustern wird, nur weil sie in ihrer Jugend die Rio-Umweltschutzdeklaration, die Fußballweltmeisterschaft 2006 oder die Einführung vonm WhatsApp erlebt hat, wie in der Literatur behauptet wird.

Möglicher Nutzen für die Personalpolitik?

Vielleicht gibt es eine weniger oberflächliche Nutzung des Generationenkonzepts im Personalwesen? Fragestellungen könnten z.B. sein:

Wie kann man Mitglieder der Generation Z als Mitarbeiter gewinnen? Welche Ansprache, welche Jobbeschreibung, welche Konditionen? Welcher Führungsstil ist der beste für Generation Y im Vergleich zu Generation Z?

Viele Unternehmens- und Personalberater bieten Bücher, Projekte und Workshops für diese und ähnliche Fragestellungen an. Voraussetzung für ein Investment in solche Leistungen wären fundierte wissenschaftliche Daten über arbeitsplatzrelevante Charakteristika der verschiedenen Generationen. Ausserdem validierte Verfahren für die erfolgreiche Anwendung des entsprechenden Know-hows. Der Wikipediabeitrag über die Generation Z (Abruf am 2023-04-23) kommt allerdings zu dem Fazit: „Über Verhalten und Werte der Angehörigen der Generation Z im Arbeitsleben liegen noch zu wenige empirische Studien vor, die mehr als Momentaufnahmen darstellen.“

Auch andere Autoren äussern sich eher vorsichtig: Die ZEIT Vermächtnis-Studie von 2015 liefert Ergebnisse, die in einem Artikel über die Studie in den Satz münden: „Es gibt die Generation Y nicht!“

Einer der Gründe für dieses Ergebnis könnte sein, dass die Vermächtnis-Studie umfassender angelegt ist als typische Generationenstudien. Patricia Wratil, die für das Wissenschaftszentrum Berlin die Studie betreute, macht auf folgendes aufmerksam: Studien über die Generation Y würden selten nach den Einstellungen der Älteren fragen oder nach den Werten, die die Jungen in die Zukunft mitnehmen würden. Dadurch könne es leicht zu Fehlinterpretationen kommen. „Man meint, die Einstellungen würden sich ein Leben lang nicht ändern und das Gesicht einer neuen Gesellschaft prägen.“

Einen anderen methodischen Aspekt adressieren Bernhard Dietz et al (2016): „Es werden faktisch immer nur Jugendliche der Mittelklasse adressiert und deren Merkmale über die gesamte Alterskohorte hinweg verallgemeinert. Hauptschulabgänger, Immigranten und Beschäftigte im Niedriglohnsektor haben die Generation Y-Trendforscher nicht im Blick.“

Der Aspekt der Migranten verdient inzwischen noch grössere Aufmerksamkeit: Ende 2022 lebten in Deutschland 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Viele dieser Menschen dürften sich nur schwer einer der üblichen Generationen zuordnen lassen, da sie vermutlich in ihrer Jugend durch andere Ereignisse geprägt wurden als Deutsche, selbst wenn sie zur zweiten Generation gehören und in Deutschland aufgewachsen sind.

Warum erfreuen sich Generationen-Konzepte trotz seriöser Kritik grosser Beliebtheit?

Für die Beliebtheit der Generationen-Konzepte mag es viele Gründe geben. Nachfolgend eine Reihe von möglichen Gründen:

Das Bilden von Kategorien, das Einteilen von Menschen in Zielgruppen, Generationen usw. verringert die Komplexität der realen Welt, zumindest in der Wahrnehmung des Einzelnen

Medien, Anbieter von entsprechenden Dienstleistungen, Buchautoren usw. forcieren – aus einer Vielzahl von Zielen – das Thema. Deshalb liegt für viele Aussenstehende die Vermutung nahe, dass es relevant ist. Schon eine kurze Internetrecherche könnte allerdings zeigen, dass die meisten Autoren gegenseitig abschreiben. Primärquellen zu finden, ist ausserordentlich mühevoll.

Nachfolgende Generationen werden von Älteren seit jeher als Bedrohung empfunden. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, die Finkelhor (2011, S. 15 ff) ausführlich darstellt. Beispiele sind, dass Ältere sich unwohl fühlen, wenn die Jugend neue Technologien vorwärts treibt, wenn junge Leute Meinungen älterer Generationen in Frage stellen. Durch das Einsortieren von nachfolgenden Generationen in bestimmte Schablonen und Beschreibungen wird für viele das Jugendproblem beherrschbarer. Dazu gehört auch, dass man nachfolgende Generationen immer als „schlechter“ wahrnehmen will, um sich selbst überlegen zu fühlen. Dass viele Generationen-Studien dieses Bedürfnis befriedigen, könnte einer der Erfolgsfaktoren dieses Genres sein.

Schliesslich versprechen Generationen-Consultants und -Institute Problemlösungen: Wir wissen, wie Generation X, Y, Z „ticken“. Ob es diese Probleme tatsächlich gibt oder nicht, scheint dabei keine grosse Rolle zu spielen. Die versprochene Lösung zählt.

Zusammenfassung

In seiner ursprünglichen Form – als rückwirkende Beschreibung von Bevölkerungsgruppen – macht das soziologische Generationenkonzept wissenschaftlich Sinn. Ob die heute – meistens zu prognostischen Zwecken – kreierten Generationenkonzepte fundiert sind und praktische Relevanz besitzen, ist sehr umstritten. Insofern ist ihr Wert für unternehmerische Entscheidungen, z.B. in der Personalpolitik oder für das Marketing von Produkten und Dienstleistungen, kritisch zu betrachten.

Literatur:

Dietz, Bernhard / Dominik H. Enste / Theresa Eyer (2016): Mythos Generation Y? Eine historische und institutionenökonomische Perspektive Roman Herzog Institut. 2016, (S. 9)
https://www.romanherzoginstitut.de/publikationen/detail.html?tx_publications_publicationsdetail%5Baction%5D=download&tx_publications_publicationsdetail%5Bcontroller%5D=Publication&tx_publications_publicationsdetail%5Bpublication%5D=70&cHash=093b2b4b80b19421eaf1d7b7cfa4d627 (abgerufen: 2023-04-23)

Finkelhor, David (2011): The Internet, Youth Safety and the Problem of “Juvenoia”. University of New Hampshire, Crimes against Children Research Center

Möckel, Benjamin (2020): Zukünftige Generationen – Geschichte einer politischen Pathosformel. APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte.
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/generationen-2020/324496/zukuenftige-generationen/ (abgerufen: 2023-05-02)

Mannheim, Karl (1928): Das Problem der Generationen. In: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7 (1928/29), S. 157-184. Teilweiser Nachdruck in Kohli, M. [Hrsg.]: Soziologie des Lebenslaufs. Darmstadt/Neuwied, S. 33-53, 1978.

Schröder, Martin: Der Generationenmythos. Köln Z Soziol (2018) 70:469–494
Online publiziert: 2. Oktober 2018
https://www.researchgate.net/publication/328030090_Der_Generationenmythos (abgerufen: 2023-05-02)

xing.com: „Die illoyalsten Jobber aller Zeiten“: So tickt die Generation Z – und darauf müssen sich Unternehmen einstellen
https://www.xing.com/news/articles/4-tage-woche-hohes-gehalt-job-hopping-so-tickt-die-genz-und-darauf-mussen-sich-arbeitgeber-einstellen-5640665 (abgerufen: 2023-05-02)

Zinnecker, Jürgen (2003): „Das Problem der Generationen“. Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischem Text. In: Reulecke, J. [Hrsg.]: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert. In: Gall, L. [Hrsg.]: Schriften des Historischen Kollegs. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München, 2003.

Wie gefällt Ihnen dieser Beitrag?

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Zahl der Stimmen 1

Bisher noch keine Bewertungen

Ähnliche Inhalte gibt es hier

Was können wir besser machen?

Autor: Gundolf Meyer-Hentschel

Schreibe einen Kommentar