Neubau Pflegeheim

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Neubau Pflegeheim

Tipps für Bauverantwortliche zum Thema Architekten und Architektur

von Hanne Meyer-Hentschel

Nehmen wir einmal an, Sie suchen einen Architekten oder Innenarchitekten für einen Neubau oder Umbau eines Alten- oder Pflegeheims.

Von Hause aus ist ein Architekt ein …

„auf dem Gebiet der Baukunst ausgebildeter Fachmann, der Bauwerke entwirft und gestaltet, Baupläne ausarbeitet und deren Ausführung einleitet und überwacht, ein Baumeister“

nach Duden

Genügt das für Ihr Vorhaben Neubau Pflegeheim ?

Im Falle von Häusern für alte Menschen sollte sich ein Architekt zusätzlich mit den Bedürfnissen älterer Menschen sowie den praktischen Anforderungen des Pflegepersonals sehr gut auskennen und sich konsequent daran orientieren.

Im Laufe meiner Tätigkeit erlebe ich in vielen Fällen das Gegenteil. In verbalen Statements werden die Bedürfnisse von Bewohnern sowie Wünsche von Pflegekräften zwar grundsätzlich ernst genommen, aber in der praktischen Ausführung bleiben sie oft auf der Strecke.

Das fertige Werk ist in den meisten Fällen ästhetisch beeindruckend, aber – nur wenn man Glück hat – auch funktionell.

Hatte man kein Glück, ergeben sich in den ersten Monaten der Nutzung viele Fragen, z.B. die folgenden, die alle reale Fälle sind. Vielleicht kommt Ihnen das ein oder andere so oder so ähnlich bekannt vor.

Das kann schief gehen beim Neubau oder Umbau eines Pflegeheims

Weshalb wurde der Fussboden in den Bädern der Bewohner in kleinformatigem Mosaik (mit unendlichen Fugen) gestaltet? Wer da täglich arbeitet, weiss was ich meine.

Wieso wird in einer Pflegeeinrichtung ein „Wellness-Bad“ mit einer Badewanne eingerichtet, in die keiner der dortigen Bewohner einsteigen kann und – falls es mit viel Mühe und Ängsten doch gelingen sollte -, schon gar nicht wieder aussteigen kann? Geplant und umgesetzt übrigens von einem Architekten, der sich als Spezialist für Pflegeimmobilien bezeichnet. Lassen Sie sich also nicht von „selbst erteilten Qualifikationen“ täuschen.

Warum wurde im Bewohnerbereich auf den Fluren ein Teppichboden mit farbig unruhigem Wellenmuster verlegt? Sieht hübsch aus, erzeugt allerdings bei alten Menschen Unsicherheit bis Schwindel, wenn sie darüber gehen. Für die Pflegekräfte war dies – anlässlich eines meiner Workshops – eine schlüssige Erklärung, warum manche Bewohner nach Verlegen dieses neuen Teppichbodens nicht mehr so gerne ihr Zimmer verlassen.

Aus welchem Grund wurde der Wunsch des Pflegepersonals „übersehen“, eine Schiebetür im Pflegebad zu bekommen? Das Pflegepersonal weiss sehr wohl, wieso dieser Wunsch so wichtig ist – welches Kriterium kann da, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, für den Architekten wichtiger gewesen sein?

Warum wurden in einer Demenzabteilung die beiden letzten Stufen einer Treppe schwarz angemalt? Da hat wohl ein Unwissender vermutet, dass dies als Markierung hilfreich sein könnte – Fakt ist das Gegenteil: die Bewohner haben Angst, in ein schwarzes Loch zu fallen und weigern sich, diese Treppe zu benutzen. Übrigens fühlt sich auch das Pflegepersonal auf dieser Treppe nicht wohl. Es wurde ihnen aber von Architektenseite aus verboten, etwas an diesem Werk zu ändern ….

Wer ist der richtige Architekt für den Neubau oder Umbau eines Pflegeheims?

Es gibt sie in grosser Zahl, die Architekten, welche sich in erster Linie als Künstler sehen denn als Dienstleister für Menschen, die später in diesem Ambiente wohnen, leben und sich wohlfühlen sollen. Den „Endabnehmern“ bleibt nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen – wo man doch eigentlich in ein Altenheim umgezogen ist (und dafür gutes Geld bezahlt), um einige Sorgen und Ängste weniger zu haben.

Erfreulicherweise kann ich auch Positives berichten: Es macht viel Sinn und verspricht Erfolg, nach einem Architekten Ausschau zu halten, der solche Sorgen und Ängste versteht, der sich bei seinen Entwürfen nicht vom persönlichen Geschmack oder modischen Aspekten leiten lässt, sondern stattdessen die Bedürfnisse der Bewohner und die Anforderungen der Einrichtung konsequent in den Mittelpunkt seines Handelns stellt.

Vorbild könnte eine Schweizer Grossstadt sein, die in bisher vier Weiterbildungsanlässen über 80 Architekten mit den Anforderungen vertraut gemacht hat, die sie zukünftig an Architekten und ihre Bauwerke stellen wird. Wesentlicher Teil dieser Weiterbildungen war die „Selbsterfahrung Alter“. Jeder der Architekten musste in einem Alterssimulationsanzug selbst erleben, wie schwierig und frustrierend das Leben im Alter sein kann, wenn der Planer unsensibel für die Bedürfnisse alter Menschen war.

Projekt Nebau Pflegeheim: Junger Architekt erlebt im Alterssimulationsanzug AgeExplorer eine Dusche aus dem Blickwinkel eines älteren Menschen.

Ein junger Architekt erlebt eine Dusche aus dem Blickwinkel eines älteren Bewohners. Dazu ist er in den Alterssimulationsanzug AgeExplorer® geschlüpft und kann durch diesen „Blickwechsel“ Bedürfnisse und resultierende Erfordernisse älterer Bewohner besser begreifen.

Foto: ageexplorer.com

Erfreulicherweise hat ein grosse Mehrheit der teilnehmenden Architekten sehr positiv auf diese Erfahrung reagiert und sie als ausgesprochen nützlichen Input für ihre zukünftigen Planungen bewertet.

Fazit:
Bauverantwortliche für Alten- und Pflegeheime tun gut daran, mit grosser Sorgfalt ihre Architekten auszuwählen. Denn es gibt sie, die Sensibilisierten, denen die Bedürfnisse der Bewohner wie auch die Anforderungen des Pflegepersonals wichtiger sind als persönliche Aspekte.

Konkrete Praxistipps für Neu- und Umbau von Demenzstationen bzw. Wohnbereichen für demenziell erkrankte Menschen finden Sie in diesem Blogbeitrag: http://,https://agesuit.com/raumgestaltung-und-architektur-fuer-menschen-mit-demenz-grundrisse-orientierungssysteme-beleuchtung/

Titelfoto: Michael Becker
https://www.flickr.com/photos/39922636@N06/
Link zum Bild: https://flic.kr/p/224SrSM


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Hanne Meyer-Hentschel

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